Das Wundermittel Strophanthin wieder entdecken
Die Strophanthin – Story
Eckart Sturm
„Dieses Wundermittel werden wir uns doch niemals aus der Hand nehmen lassen!“ war die Antwort des Ordinarius für innere Medizin der Universität Graz beim Kongress für Allgemeinmedizin 1988. Ich hatte ihn angesprochen, warum er in seinem Vortrag über Adynamie Strophanthin erwähnt hatte; dies sei doch inzwischen „out“. Nun ist es tatsächlich so weit gekommen, dass es aus dem Handel gezogen und den Ärzten aus der Hand genommen wurde, obgleich es dafür keinerlei medizinische Gründe gab, im Gegenteil.
Klinisch beobachtete Wirkungen von Strophanthin
- Kurzfristige Verbesserung der Auswurfleistung beider Ventrikel (inotrope Wirkung)
- Längerfristige Entspannung des gesamten Gefäßsystems mit Senkung von Vor- und Nachlast sowie Verbesserung der Koronardurchblutung (vasotrope Wirkung)
- Sehr schnell einsetzende Verbesserung der Sauerstoffversorgung des Myokards und der Körpermuskulatur (myotrope Wirkung)
- Im Myokard vor allem Verbesserung der Durchblutung des Reiz-Leitungs-Systems und seiner Funktionen (dromotrope Wirkung)
- Strophanthin bewirkt eine Umschaltung des Organismus von der sympatikotonen Leistungsbereitschaft zu einer vagotonen Erholungsphase (vagotrope Wirkung). Diese Umschaltung sollte durch zusätzliche Maßnahmen gefördert werden, z.B.: langsame i.v.-Injektionen möglichst bereits im Liegen, danach möglichst 5-20 Minuten liegen, später entspannte leichte Bewegungen ohne Anstrengung.
Während bei den Digitalis-Präparaten ein Wirkspiegel aufgebaut werden kann, der kontrollierbar ist, wird es als Nachteil angesehen, dass bei Strophanthin der Spiegel nach wenigen Stunden stark abfällt. Gegenüber diesem kleinen Nachteil sind jedoch die positiven Wirkungen des Strophanthins sehr viel umfassender; denn sie betreffen das gesamte Gefäßsystem. Auch entspricht es den neueren Auffassungen, dass das Herz nicht länger isoliert betrachtet werden darf; denn es erfüllt– wie wir heute wissen - innerhalb des gesamten Kreislauf wichtige regulierende Funktionen, unterstützt von Zwerchfell und Venenpumpen, die jeder durch Laufen und tiefes Atmen fördern sollte. (Schnabel P. Therapieprinzipien bei Herzinsuffizienz, in: Böhm M. (Hrsg.) Herzinzuffizienz. Thieme, Stuttgart 2000, S. 54-55.)
Die stabilisierende Wirkung von Strophanthin
Wer regelmäßig Strophanthin bekommt, stirbt nicht mehr an Herzversagen.
Diese Hypothese kann ich „nur“ durch Langzeitbeobachtung in über 30jähriger Hausarztpraxis belegen: Bis in die Jahre 1950-60 war es noch üblich, Patienten mit Herzdekompensation 10 Tage lang 0,25 mg Strophanthin i.v. zu verabreichen und sie danach auf Digitalis einzustellen. Relativ oft kam es aber dazu, dass herzinsuffiziente Patienten nach 8-12 Wochen erneut dekompensierten, z. B. nach Herzinfarkt oder besonders solche mit Rechtsinsuffizienz, die Digitalis purpurea ohnehin schlecht vertragen und deshalb Digitalis lanata oder Digitaloide erhielten.
Um diesen Rezidiven vorzubeugen, setzte ich das Strophanthin nicht plötzlich ab, sondern ging dazu über, zunächst bei einigen, dann bei immer mehr Patienten – entgegen der Lehrmeinung – während der Digitalis-Medikation je nach Bedarf in 8, 10 oder 14-tägigen Abständen ¼mg Strophanthin i.v. zu injizieren. An diesen Tagen sollten die Patienten kein Digitalis, sondern Magnesium einnehmen.
Je nach Schweregrad und Alter des Patienten habe ich diese Kombinationstherapie mehrere Monate bis Jahre durchgeführt, bei Risikopatienten lebenslänglich, oft kombiniert mit Antikoagulantien. Danach blieben die früher so oft beobachteten Dekompensationen aus. Außerdem habe ich bei diesen Patienten keine Herzinfarkt-Rezidive erlebt. Dies bestätigte die Mitteilungen von Kern, der damals Strophanthin zur Herzinfarktprophylaxe empfohlen hatte.
Bei Berücksichtigung der wichtigsten Kontraindikationen (Niereninsuffizienz, Kalium- und Magnesiummangel) sowie Digitalis-Überdosierung habe ich bei dieser intermittierenden Behandlung von Herzinsuffizienten der Stadien NYHA III-IV keine Nebenwirkungen oder Zwischenfälle beobachtet.
Zwischenfälle bei Überdosierung und Fehlindikationen
Warum Strophanthin in Misskredit gekommen ist und weshalb es eliminiert wurde, ist eine lange Geschichte, fast ein Krimi: In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Laennec Strophanthin aus dem Samen des indischen Hanf isoliert und seine Herzwirksamkeit nachgewiesen. Seine Erfolge bei der Behandlung der Herzinsuffizienz waren beeindruckend, wenn es intravenös injiziert wurde. Es kam damals als Ampullen zu ½ mg und ¼ mg in den Handel.
Als man damals Strophanthin überwiegend in Ampullen von ½ mg in die USA exportierte, wurden dort vermehrt Zwischenfälle beobachtet, vermutlich weil man die Kontraindikationen noch nicht kannte (s.o). Strophanthin wurde deshalb von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde sofort verboten. Ein weiterer Informationsaustausch über die Ursachen verblieb.
In der Nachkriegszeit versuchte eine große Zahl Kardiologen, durch Aufenthalte in den USA den Anschluss an den internationalen Stand kardiologischer Forschungen zu gewinnen. Diese Fortschritte bezogen sich insbesondere auf Rhythmusstörungen und koronare Herzkrankheit. Die pharmazeutischen Firmen entwickelten Betablocker und schließlich ACE-Hemmer. Sie verdrängten dadurch sogar Digitalis. Strophanthin wurde eine Zeit lang noch auf Intensivstationen verwendet.
Orale Applikation kann zu Intoxikationen führen
Als ein Hausarzt, Dr. Kern, in Süddeutschland beobachtet hatte, dass die Entwicklung eines Herzinfarktes verhindert oder unterbrochen werden konnte, wenn es im Frühstadium verabreicht wurde, war dies zu seiner Zeit eine Sensation. Es wurde eine Gesellschaft zur Infarktbekämpfung gegründet.
Um infarktgefährdete Patienten präventiv schnell mit Strophanthin zu versorgen, empfahl Kern, bei Stenokardien die Einnahme von Strophanthin in hoher Dosis sublingual. Das Medikament war so natürlich nicht exakt zu dosieren.
Ich selbst habe es sublingual getestet und mir eine Intoxikation mit Übelkeit und Gelbsehen zugezogen. Deshalb habe ich mich bei meinen Patienten stets auf i.v.-Injektionen beschränkt. Aber sie wurden von mir informiert, dass sie möglichst schnell in die Praxis kommen oder von mir einen Besuch anfordern sollten, wenn ihre Stenokardien nach Nitrolingual nicht kurzfristig vollständig verschwanden, damit ich ihnen Strophanthin injizieren konnte.
Der Hausarzt Kern hielt jedoch an seiner Empfehlung der oralen Selbstmedikation bei Nitrolingual refraktären Stenokardien fest. Darauf reagierte der Ordinarius der Inneren Medizin Prof. Schettler mit einem Schauprozess: In einer Versammlung der Medizinischen Gesellschaft auf dem Kuhstall in Heidelberg ließ er Herrn Kern zunächst vortragen, dann aber durch mehrere Referenten erklären, dass seine Behauptungen auf Grund des gegenwärtigen Wissensstands nicht zutreffen könnten. Eine Kollegin, die den „Schauprozess“ miterlebt hat, berichtete empört über dieses Vorgehen. Sie habe sich geschämt, wie man mit Herrn Kollegen Kern umgesprungen sei. Man sei doch nicht mehr im Mittelalter, als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Aber Herr Schettler erreichte, dass Strophanthin aus allen Lehrbüchern und Forschungsvorhaben gestrichen wurde.
Die Entwicklung eines Herzinfarktes unterbrechen
Nur der Außenseiter und Nobelpreisträger Manfred von Ardenne hat in den siebziger Jahren weitere Forschungen durchgeführt. Sie ergaben: Die Wirkung des Strophanthins beruhte nicht auf einem Wirkspiegel, sondern auf einem „Umschalt-Effekt“ im Herzstoffwechsel von der anaeroben zur aeroben Phase. Bei koronarer Mangeldurchblutung (Angina pectoris) kommt es durch Sauerstoffmangel im Myokard des Versorgungsgebiets zur Senkung des pH-Wertes und zunehmender Nekrobiose (Absterben) von Herzmuskelzellen mit Ausschwemmung von Lysosomen (im Blut als erhöhte Transaminasen feststellbar). M. v. Ardenne konnte experimentell mit Mikrosonden nachweisen, dass dieser pathogene Verlauf durch Injektion von Strophanthin i.v. sofort unterbrochen und umgekehrt werden kann.
Vom möglichst frühen Einsatz des Strophanthins hängt es jedoch ab, ob und inwieweit sich die Entwicklung eines Infarktes verhindern lässt. Dies war der Grundgedanke von Kerns Selbstmedikation.
Die Rehabilitation von Strophanthin wurde verschwiegen
Diese Ergebnisse waren jedoch nicht der Anstoß zur weiteren Erforschung des Strophanthins, sie wurden vielmehr ignoriert. Inzwischen ist Strophanthin fast völlig in Vergessenheit geraten; die Lizenz wurde nicht erneuert und das „Wundermittel“ wurde aus dem Handel gezogen. Lediglich die Firma Weleda darf noch Ampullen in homöopathischer Dosierung abgeben: „Strophanthus kombe D 3“. Dies entspricht pro Ampulle 0,10 mg; man benötigt also in der Regel zwei Ampullen, die ich – auch zur langsameren Injektion – meist zusammen mit B 12 –Steigerwald aufziehe.
Fehleinschätzung eines lebenserhaltenden Arzneimittels
Bisher wurde Strophanthin im Hinblick auf seine inotrope Wirkung, die die „Pumpfunktion“ und Auswurfleistung des Herzens steigert, mit Digitalis und den Digitaloiden verglichen, und es wurde mit dieser Gruppe vor allem deshalb schlechter bewertet, weil es nur relativ kurz wirkt und keinen „Wirkspiegel“ aufbaut.
Es ist an der Zeit, diese Fehleinschätzung zu korrigieren, damit das Wundermittel Strophanthin wieder in den Kreis hoch potenter Arzneimittel aufgenommen wird und damit es wegen seiner das Leben verbessernden Wirkungen weiter erforscht und indiziert eingesetzt wird.
Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Eckart Sturm
Arzt für Allgemeinmedizin
Ziegelhofstr. 30
26121 Oldenburg