Gedächtniskünstler, Hirnforschung und Weiterentwicklung des Denkens
Eckart Sturm
Schon seit langer Zeit werden im Zirkus oder TV bewundernswerte Rechen- und Gedächtniskünstler sowie strategisch denkende Schachweltmeister vorgeführt. Diese „Blüten“ der individuellen Evolution sind sterile Nischen und führen bei der kollektiven Weiterentwicklung des Denkens nicht weiter.
Die Hirnforschung versucht, mit bildgebenden Verfahren die Ursachen und Kompensationsmöglichkeiten bei Ausfall von Teilfunktionen, Defekten und Geisteskrankheiten zu analysieren. Die Ergebnisse, die mit hoch entwickelten Apparaten erhoben werden, vermitteln umfangreiche weitere Erkenntnisse über die Funktion und Vernetzung unseres zentralen Nervensystems. Sie werden in den u. g. beiden Büchern auf populärwissenschaftliche Weise vermarktet. Daraus zwei Zitate, denen wir folgen können:
- „Das menschliche Gehirn ist zum Denken und Lernen so optimiert, wie der Kondor zum Fliegen.“ (M. Spitzer)
- „Es gibt bei der Benutzung des Gehirns nur einen Fehler, es nicht zu gebrauchen.“
(G. Hüther 2004)
Offenbar reichen jedoch diese Formen des maschinellen Zugangs zum ganzheitlichen Denken nicht aus, um den Missbrauch und die Manipulierbarkeit des Denkens zu erklären. Wie es möglich war, dass Menschen aus einem „Kulturvolk“ im vorigen Jahrhundert im Holocaust unselige Verbrechen verübt haben, ist fast unbegreiflich, obwohl wir auch heute durch stündliche Nachrichten einer Dauermanipulation unterliegen. Ihre Wirkung wird durch jenes Experiment belegt, in dem sich die Mehrzahl einer Studentengruppe beeinflussen ließ, der Fortsetzung der Folterung eines Menschen zuzustimmen, obgleich sie sein gequältes Schreien hörten.
Mit isolierten Teilinhalten des Denkens lässt sich in Denkspielen vorzüglich jonglieren, ebenso wie im Zirkus mit Bällen und Hanteln, Ein gut argumentierender Verteidiger wird auch ein hohes Gericht von der Unschuld des „Herrn Ackermann“ überzeugen. (Gemeint ist natürlich der Herr Ackermann aus Weill-Brechts Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonni“.), Schon jetzt, nicht erst im neuen integralen Zeitalter benötigen wir Regulative. Denken darf sich mit all seinen Folgen nicht auf Teilfunktionen, wie rationale, emotionale oder praktische Überlegungen beschränken, sondern es sollte stets ganzheitlich auf die Situation und den Kontext bezogen sein. Und die Ergebnisse von Denkinhalten sollten aus einer menschlich-ethisch-sozialen und liebenden Grundhaltung resultieren.
Literatur
Hüther, Gerald (2004) Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn; Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht
Spitzer, M. (2002) Lernen; Darmstadt: Spektru Akademischer Verlag

Prof. Dr. med. Eckart Sturm
Arzt für Allgemeinmedizin
Ziegelhofstr. 30
26 121 Oldenburg
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