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Mehr Salutogenese in der Lehre – Förderung der ressourcenorientierten Sichtweise bei Studierenden

Thomas Lichte und Markus Hermann

Studierende der Medizin kommen im zweiten Teil Ihres Stu­di­ums mit Kenntnissen des „Normalen“ und Wissen aus den „Patho-Fächern“. Die Fragen „Wie wird man krank“ und „Was macht krank“ stehen im Mit­tel­punkt des Denkens. Die logische Folgerung ist jetzt die Ursache und den Prozess des Krank­wer­dens zu „bekämpfen“! Behand­lungswege werden ge­se­hen im Vernichten von Krank­machen­dem und Korrigieren der Irrwege des Organismus. Die Persön­lich­keit des Betroffenen spiegelt sich manch­mal in Fallpräsentationen wider. Aber wo bleibt der Mensch und seine Individualität in Bezug auf Be­wäl­tigungsstrategien und Ressour­cen?

Abb. 1 Das biopsychosoziale Model.
Abb. 1 Das biopsychosoziale Model.

Im ersten Kontakt mit dem „ganzheitlichen“ Fach Allgemein­medizin zeigen die Studierenden manch­mal Arroganz! – oder ist es die Hilflosigkeit, jetzt oft erstmals vor dem Kranken zu stehen und mit ihm gemeinsam Lösungswege zu entwickeln. Eine Aussage wie „endlich mal Arzt sein“ gibt Hinweis auf Er­kennt­nisgewinn nach einigen Tagen in der Allgemeinpraxis (im Rahmen des Blockpraktikums – nach neuer Ärztlicher Approbations­ord­nung). Nach an­fäng­lichem Widerstand wird die biopsycho­soziale Be­trach­tung besser ak­zep­tiert. Mit Hilfe des Modells nach G. Engel kann die Anamnese und Heran­ge­hens­wei­se an den basis­nah Rat­su­chen­den individuell erar­beitet werden und später auf jeder Ebe­ne – auch der einer In­ten­siv­sta­tion – genutzt werden.

Abb. 2 Das SOAP-Schema
Abb. 2  Das SOAP-Schema

Studierende lernen nach dem „SOAP-Schema“ systematisch ei­nen Patient-Arzt-Kontakt zu er­le­ben und zu gestalten (Abb. 2). Mit „S“ wird das subjektive Erleben des Menschen erfasst und mit „O“ die objektiv zu er­he­ben­den Befunde von der körper­lichen Untersuchung bis zum MRT (Magnetresonanz-Tomo­gramm). In der „A“nalyse sollte zusammen mit dem Betroffenen eine in­di­viduelle Diagnose ge­stellt werden – der Mensch in seinem Umfeld mit ent­spre­chen­den Krankheits­zeichen. Das „P“ meint Planung bezogen auf den Patienten und zusammen mit ihm; wie kann er bei der Ge­sundung mithelfen und welche (therapeutischen) Maß­nahmen trägt er mehr oder weniger überzeugt mit. Hier werden den Lernenden erstmals ressourcen­orientierte Aspekte klarer. Ist es dem betroffenen Menschen auf Grund seiner Erfahrungen, So­ziali­sation, fa­mi­liä­ren Erlebens­welt und dem eigenen Krank­heits- bzw. Ge­sund­heitsmodell über­haupt mög­lich einen be­stimmten (Be-)­Handlungsweg zu gehen?

Abb. 3 Funktionen des Hausarztes
Abb. 3  Funktionen des Hausarztes

Die allgemeinmedizinische Arbeitsweise wird (zu) spät im Medizinstudium vermittelt; die Lang­zeit­versorgung mit erlebter Anamnese kann neben den klassischen Funktionen der Allgemein­me­di­zin (Abb. 3) noch mit Mühe und bei besonderem Interesse der Studierenden in die klassischen Themen der universitären Lehre integriert wer­den. Querschnittsbereiche wie „Medizin des Alter(n)s“, Prävention“ bzw. „Naturheilverfahren etc.“ können das Denken in biopsychosozialen Dimensionen fördern.

Nach den oft nur 5-6 Prak­ti­kums­tagen in Hausarzt­praxen erfährt man mittels Evaluationen erstaun­liche Neuigkeiten be­son­ders zur Patient-Arzt-Beziehung bzw. -Kommunikation und durch­weg gute Bewertungen der Lehr­praxen mit dem gesamten Team. In bis zu 50% steigt der Anteil der Stu­die­ren­den später haus­ärztlich tätig werden zu wollen.

Salutogenese wird zum Thema! Warum bewältigen man­che Men­schen ihre Schicksale besser als andere? Welche Ein­stel­lun­gen oder Haltungen helfen den Betroffenen. Ressourcen­orien­tie­rung und die Saluto­genese-Theo­rien, nicht nur von A. Antonovsky, werden neugierig und kritisch bearbeitet, aber nicht in die Ebene von zweifel­haften para­medi­zini­schen Me­tho­den ge­ho­ben. Der Ansatz „Gesund­machendes“ in Be­zie­hung zum „Krank­ma­chen­den“ zu stellen macht Studierende neu­gie­rig!

In wenigen Stunden Allge­mein­me­dizin während des Medizin­stu­di­ums – nämlich 70 von 4000 = 2% – kann es wahrscheinlich schon gelingen die Menschen-/Patien­ten-Zen­trie­rung verstärkt zu ver­mitteln und diese zusammen mit Ressourcen­orientierung als wich­tigen „Heil­faktor“ anzusehen und teilweise selbst zu erleben.

(Einzelne Referate und Fall­do­ku­mentationen sollen in den nächsten Ausgaben von „Der Mensch“ erscheinen)

Im Blockpraktikum und begleitenden Lehr­ver­an­staltungen des jetzt fünften Hauptfachs „Allgemein­medizin“ kann auch gut die Ressourcenorientierung vermittelt werden. Bei Patientenvorstellungen – life oder per Com­puterpräsentation – sollten neben den bio­medizinischen Belangen auch auf die psycho­sozialen Umstände von den Studierenden eingegangen werden. Hier erlebt man als Dozent bzw. Moderator Wandlungen der Studierenden, die von ihnen größtenteils dankbar angenommen aber auch ver­ein­zelt abgewehrt werden.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. med. Thomas Lichte 
Allgemeinarzt, Palliativmedizin, Psychotherapie, Rettungsmedizin
Institut für Allgemeinmedizin der Universitäten Halle und Magdeburg
Lindenstr. 10 (Praxis)
27389 Lauenbrück

Tel 04267/1480 oder 1412
Fax 04267/1414
Email Th.Lichte(at)t-online.de